Social distancing: verordnete Einsamkeit

Bis vor 4 Wochen konnte man lesen: Einsamkeit sei die neue Volkskrankheit. In Corona-Zeiten gilt: Social distancing. Soziale Kontakte sind auf das Nötigste einzuschränken. Nur, wie viel ist das Nötigste? Das Bedürfnis nach Nähe, es nagt an jedem von uns. Social distancing wirft uns auf uns selbst zurück, auf uns und die Menschen, mit denen wir leben. Alleinlebende überlegen sich auf einmal, wann sie einkaufen gehen, um endlich mal jemand „life“ zu sehen, wenngleich auch aus 2 Meter Entfernung. Hochrisiko-Personen finden sich in ihrer Wohnung gefangen. Paare und Familien merken nicht selten, wie fremd sie einander geworden sind. Aggressionen wachsen weil man sich nicht auskommt. Einsamkeit macht sich breit, wird fühlbar. Wann darf, wann werde ich meine Lieben in der Ferne das nächste Mal ohne Angst umarmen können? Einsamkeit aushalten – atmen, Unsicherheit spüren – atmen, Nicht-Wissen ertragen – atmen… Aushalten, statt einschlafen, spüren, statt Fernseher einschalten, ertragen statt dem Griff zur Schokolade…

Jesu Frage trifft mich: „Könnt ihr nicht mal eine Stunde mit mir wachen?“ Ich höre: Könnt ihr nicht mal eine Stunde solidarisch sein? Nicht die ganze Zeit nur um Euch kreisen? Könnt ihr nicht eine Stunde die Augen offenhalten für das, was ist? Jetzt?! Ungefragt macht die Welt gerade kollektive Einzelexerzitien! Wie wäre es, während dieser Kartage einmal eine Stunde „zu wachen“ (und ganz Mutige vielleicht täglich eine Stunde). Eine Stunde, den Blick in die eigene Tiefe zu wagen. Eine Stunde mich mit den Menschen zu verbinden, die leiden. Eine Stunde bewusst einsam sein und geschehen lassen, was geschieht, …. begegnen…

Anne Mayer-Thormählen für das Forum Spiritualität